Freitag, 9. August 2013

Kapitel 1, Routine Teil 1/2 (Neustart)

Heut ist Freitag, ein typischer Tag im Herbst. Der Boden ist von Laub bedeckt, von gelben und rotbraunen Farben. Die Straßen sind belebt. Menschen gehen umher und der Verkehr ist laut. Wolken trüben den Himmel grau und es riecht nach Regen. Laut kichernd springen Kinder in einem Park von Pfütze zu Pfütze und ihre bunten Jacken, ihre Gummistiefel und Mützen, ja, die ganze Welt wirkt grau durchtränkt, entsättigt, trist. Unweit von ihnen sitzt ein Mann auf einer Bank aus verwittertem Beton, die, eingerahmt von Rosensträuchern und mit Graffitis beschmiert, eine eigene Geschichte erzählt. Neben diesem Mann liegt ein Strauß von roten Gerbera und ein Regenschirm in schwarz. Er scheint ein ganz normaler Typ zu sein, sofern es überhaupt normale Typen gibt. Seine Statur ist sportlich. Sein Haar ist dunkel und gerade so lang, dass es seine Ohren verdeckt, die er nicht mag. Er trägt einen anthrazitfarbenen Anzug mit offenem Jackett und darunter ein perlweißes Hemd. Auf eine Krawatte hat er verzichtet. Sie wäre zu viel. Während er sich mit seinen Ellenbogen auf seinen Beinen abstützt und sein Gesicht mit seinen Händen hält, ist sein Blick träumend und auch traurig zum Boden gerichtet. Er ist selten so zu sehen. Meist sind es einzig seine Augen, die die Geschichte erzählen, die seine fröhliche Miene und sein Lächeln zu verbergen versuchen.
    Er hat heute Abend um 20 Uhr ein Date im Irish Pub „Tin Whistle" gegenüber des Parks in Sichtweite. Eigentlich mag er diesen Laden, auch wenn er dreckig und runtergekommen ist, doch mit seinem Date wollte er ihn nicht verbinden. Er ist einfach zu nah an seiner Welt, fast ein Teil davon, aber eine Wahl hat er nicht. Nicht mehr.

"Regel 1: Egal wie sehr es dich stören mag, beim ersten Date hat die Dame stets und sofern sie möchte die freie Wahl der Location! Du fügst dich also voller Vorfreude, egal wohin sie will."

Also stimmte auch er ihrem Wunsch, ins Tin Whistles zu gehen, mit seinem konstant gleichen und dennoch charmanten Lächeln zu.
    Die Zeit vergeht. Es wird langsam dunkel und von den Kindern ist keines mehr zu sehen. Es hat leicht zu regnen angefangen und die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos lassen blasse Schatten über die Fassaden der Häuser wandern. Ein mäßiger Wind ist aufgekommen und versucht den Mann und seinen nun geöffneten Schirm davon zu ziehen, weg von diesem Park und weg von seinem Date. Aber er bleibt sitzen und wartet gleich einem Huhn vor dem Schlachten. Als würde auch er in dieses wundervolle, beruhigend blaue Licht sehen, bevor er Meter für Meter seinem Ende näher kommt. Seine Augen glänzen und sein "blaues Licht" sind die Blätter vor ihm, die sich im Wind bewegen. "Ob auch sie die Blätter tanzen sieht?", fragt er sich. Eine Antwort steht aus und kaum hat er darüber nachgedacht, sieht er, wie sich sein Date, Isabelle, unruhig umherschauend dem Pub nähert. Ihr langes, braun gelocktes Haar ist klamm vom Regen und ihr kaminroter Wollmantel von Wasserflecken übersät, die sich in langen, dunklen Schlieren über ihren schmalen Körper nach unten ziehen. Der Mann zögert nicht lang, nimmt den Blumenstrauß und steht auf, um zu ihr zu eilen. Sein Herz rast vor Aufregung. Was ungewöhnlich für ihn ist. Er war bei seinen Dates lang nicht mehr aufgeregt. Normal ist er routiniert, fast gelangweilt und sein Lächeln fest ins Spiel verankert. Doch dieses Mal lächelt er nur verhalten aber ehrlich und aus seinem tiefsten Inneren heraus. Ein Kloß im Hals erschwert dabei seine Atmung. "Wie sie wohl ist?" fragt er sich und kaum ist er ihr nah, drosselt er sein Tempo, stellt das Lächeln zurück auf Routine und sagt im ruhigen und warmen Ton: "Hallo Isabelle, schön dass du hier bist" und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Sichtlich darüber erstaunt, erwidert sie stockend seine Begrüßung mit "…eben…so", woraufhin er ihr die Gerbera mit den Worten: "Die hier sind für dich. Ich hoffe du magst sie" überreicht. Über die Blumen erfreut, geht Isabelle nah an ihn heran, sodass auch er etwas Schutz von seinem Schirm abbekommt, den er bei der Begrüßung zuvorkommend von sich weg und über Isabelle platzierte. Die letzten Meter zum Pub werden nur durch die klackenden Geräusche von Isabells Hacken, die auf den Gehweg knallen, und dem leise tropfenden Regen begleitet. Wenig später stehen beide auch schon vor dem Pub und der Mann öffnet die massive, rot lasierte Eichentür mit ihren rostigen Beschlägen und lässt Isabelle eintreten.
    Der Laden wirkt noch dreckiger, als er ihn in Erinnerung hat. Der Boden klebt und bei jedem Schritt fühlt es sich so an, als würde man an ihm haften und Fäden von ihm ziehen. Rauch erdrückt den Raum und verleiht den Wänden mit ihren unzähligen Bildern vergangener Sportikonen und Böden alter Guinnesfässer einen Charme, wie ihn sonst nur Hollywood produziert. Doch in Hollywoodfilmen befinden sich zumeist haufenweise grimmig dreinschauende Männer in einem Pub, die Billard oder Dart spielen und einen Anzugträger mit hübscher Begleitung zumindest angsteinflößend mustern würden. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Das Tin Whistle ist eher ein Treffpunkt für Studenten und Paare, die selbst nicht angestarrt werden wollen. Hier kümmert es niemanden, wer du bist, wie du aussiehst und was du machst.Kaum haben Isabelle und der Mann den Laden betreten, nimmt er ihr den Mantel ab und gibt ihr ein sauberes, grau-schwarz gestreiftes Stofftaschentuch aus der linken Innentasche seines Jacketts, damit sie sich ihr feuchtes Gesicht abtrocknen kann. Ihr dezent aufgelegtes Makeup ist nur leicht verwischt und gerade als Isabelle sich abtupft, sieht er ihre blau-grünen Augen, die ähnlich wie die seinen, entgegen ihrem Lächeln, traurig glänzen. Sein Herz beginnt erneut zu rasen. Und als er ihren roten, vollen Mund hinter dem Stofftuch erblickt, ist auch seine Atmung wieder gehemmt. Isabelle scheint etwas Besonderes für ihn zu sein und es ist unschwer zu erkennen, dass dies dem Mann unangenehm ist. So atmet er zweimal tief durch, lässt sein trainiertes Lächeln erneut erblühen und führt sie an das Ende des linken Flügels im Pub. Dort stehen schon eine mit Wasser gefüllte und ansonsten leere Vase, ein Schild mit der Aufschrift reserviert, zwei Weingläser und eine mit Bordeaux gefüllte Karaffe mit ausladendem Boden auf einem runden, angesengten Naturholztisch bereit. "Der Tisch ist nicht mehr der neueste" sagte der Mann und Isabelle erwidert: "aber Charme ist doch keine Frage des Zustands" und lächelt ihn breitgrinsend an. Sie rechnete nicht mit der Aufmerksamkeit und Vorbereitung, mit der er ihr bisher bei diesem ersten Date begegnete. Beide setzen sich und der Abend beginnt.  

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