Gesamte bisherige Story

Kapitel 1, Routine

Ich sitze – wie so oft – auf meiner Bank. Sie ist kalt, aus grauem Beton und ihre Bretter sind nichts weiter als Fragmente einer vergangenen Zeit, zerborsten und beschmiert. Von hier betrachte ich die Menschen, wie sie vorübergehen, mal lachen oder weinen und stets ihrem Leben folgen. Ich frage mich, ob auch sie das Gefühl warmer Tränen kennen, die an ihren Wangen herunterlaufen und im Begriff sind, ihr erst Sekunden altes Lächeln zu verzerren? Ich frage mich, ob auch sie die Blätter im Wind tanzen sehen? Haben sie sich ihr Leben so vorgestellt? 

Ich habe ein Date – heute Abend um 20 Uhr – im Irish Pub „Whistle“, nicht weit von hier. Ich mag diesen Laden nicht. Er ist dreckig und zu nah. Doch sie schlug ihn vor.

Regel 1: Das Date hat stets die freie Wahl der Location! Wohin es auch will, füg dich voller Vorfreude! – Wuhuuu – 

So stimmte ich ihrem Wunsch mit trainiertem Lächeln zu. Die Zeit vergeht schnell. Nur noch eine halbe Stunde bis acht… Ich bin so aufgeregt wie ein Huhn in der Schlachtanlage. Als würde auch ich in dieses wundervolle, beruhigend blaue Licht sehen, bevor ich Meter für Meter meinem Ende näher komme. Es ist zu spät, erneut über alles nachzudenken, sie ist da – ungewöhnlich früh. Sie trägt einen karminroten Mantel, geht aufrecht, wenn auch hektisch. Noch 15 Minuten und ich folge ihr. Ob auch sie die Blätter tanzen sieht? 

Ich bin unentspannt, seltsam. Los geht‘s Richtung „Happy End…!“, die Eingangstür aus Eiche rustikal stets im Blick. Ich greife mir noch einmal tief ins Haar, schaue an mir hinunter, ob auch alles sitzt, atme durch, schalte auf fröhlich und öffne die Tür und gehe hinein.  – Routine – 

Der Pub ist tatsächlich noch dreckiger, als ich ihn in Erinnerung habe. Der Boden ist versifft und bei jedem Schritt fühlt es sich an, als würden meine Sohlen klebrige Fäden von ihm ziehen. Rauch erdrückt den Raum und verleiht den Wänden mit ihren unzähligen Bildern vergangener Sportikonen und Böden alter Guinnesfässer einen Charme, wie ihn sonst nur Hollywood produziert. Mein Date wartet am Ende des linken Flügels an einem runden, angesengten Naturholztisch. Er ist nicht mehr der frischeste. Sie scheint aufgeregt, lächelt mir aber verhalten zu und begrüßt mich mit den Worten: „Du bist früh“. „Du früher“, antworte ich leise und setze mich.

Regel 2: Halte etwas Abstand, lass ihr Raum und enge sie nicht ein. Setze dich aber auch nicht an den Arsch der Welt. Das Gefühl, dass sie dich anwidern könnte, sollte sie zu keinem Zeitpunkt bekommen. Noch wichtiger ist, dass du ihr verdammt noch mal in die Augen schaust! Denn Titten bekommst du in jedem zweitklassigen Drecksladen zu deinen Frühstücksflocken dazu. Aber Augen, Blicke, die jedes Wort von deinen Lippen saugen und nach deiner Seele greifen, machen ein Date!

Ich lasse ihr ein paar Sekunden, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Ihre Schüchternheit gefällt mir. Aber nach einer Flasche Wein, ein paar netten Worten und einem unaufdringlichem Lächeln meinerseits scheint dieser Wall durchbrochen. Der Tanz beginnt.

Sie erzählt mir von ihrem Verlobten, einem Lehrer. Eine Geschichte folgt der anderen. Mit ihren Worten scheint auch ihre Seele in die Freiheit zu dringen. Es ist faszinierend und doch traurig zugleich, wie sehr sich diese Geschichten ähneln. – Urlaub an einem Sonnenstrand… Paris bei Nacht… oder witzige Shoppingausflüge mit unerwarteten Ereignissen.... Den Abschluss bildet jedoch meist so etwas wie: „Es war so schön mit ihm... Er ist der tollste Mann auf Erden…" Es ist bitter! Sie weint und nimmt mit zittriger Stimme ein weiteres Mal Abschied: „Er ist letzten Sommer bei einem Autounfall gestorben…" Es gibt Situationen, in denen ist nichts zu sagen ebenso falsch wie Beileid. Also nehme ich ihre Hand und fordere sie zum Tanz auf. Ein „Nein“ wird nicht akzeptiert und ja, der Laden ist nicht plötzlich generalgereinigt worden und auch die Tanzfläche ist ebenso versifft wie der Rest, doch wer kann schon den fröhlichen Klängen der irischen Folklore widerstehen? Und so beginnt auch sie sich – wenn auch etwas steif – der Musik zu öffnen. Wir tanzen. Schritt für Schritt verschwinden ihre Tränen. Drehung um Drehung schließt das Leben wieder seine Arme um sie. Sie lacht und was bleibt sind feucht glänzende, aber wunderschöne tiefgrüne Augen.

Regel 3: Nimm es als ein mystisches Naturgesetz, aber Frauen lieben es zu tanzen. Also steh auf – Step 1-2-3 – und beweg die Hüften. Ob du gut oder schlecht tanzt, ist egal. Wichtig ist nur, dass du tanzt!

Es vergehen ein paar Stunden im Pub, bis wir bei ihr landen. Sie hat eine nette Wohnung, nicht die größte aber schön. Überall hängen Bilder eines Mannes, wahrscheinlich ihr Verlobter, attraktiv. Ein wenig Kleidung liegt herum und grüne Vorhänge mit schwarzen, senkrechten Streifen verdecken Raum für Raum den Blick in die Welt. Ist das ihre Form zu trauern? Hektisch führt sie mich ins Schlafzimmer und verschwindet selbst ins Bad. Das ist mein Stichwort. Es wird höchste Zeit, die Gummis aus meinem Sakko zu nehmen und unter einem Kissen zu verstecken.

Regel 4: Ob es zum Sex kommt, obliegt einzig ihr. Doch die große Gummisuche ist der totale Abturner. Also spiel den Fesselkünstler und verpack deinen Freund so schnell, wie es nur Superman könnte und so stilvoll wie James Bond. 

Überall stehen Kerzen. Ein paar davon zünde ich an. Nächster Schritt: Musik! Also auf zur Anlage und ihren CDs. Was sie wohl gerne hört? Tatsächlich ist von Abba, über Klassik bis Rammstein und alten Backstreetboys-Alben alles dabei. Mir fallen jedoch die Crows auf. Ihre Musik ist so melancholisch schön, doch hier unangebracht. Ich lege also eine von mir mitgebrachte CD ein, Bob Dylan. Wenn sonst nichts passt, ist Dylan stets die Lösung! Like a rolling stone lässt er den Abend laufen. Nun heißt es zu warten. Wieder vergehen ein paar Minuten, bis sie endlich in der Tür steht. – Fantastisch! – Auf Wäsche hat sie verzichtet. Ihr wundervoll blasser Körper wird nur von ihrem dunklen, langen und glatten Haar bedeckt. Ihre Brüste sind straff, nicht zu groß. Sie ist schlank, hat kaum Makel, nur ein paar Falten. Mir wäre es egal, doch sie ist wirklich wunderschön, so unglaublich schön. Trotzdem ist ihre Zerbrechlichkeit nicht zu übersehen. Sie wirkt, als könnte jeder falsche Blick, jede unvorsichtige Geste ihr den letzten Mut zu leben rauben. Vor mir muss sie keine Angst haben. Lächelnd stehe ich auf und gehe zu ihr, nehme ihre Hand und führe sie zum Bett. Sie verkrampft und so beginnt ein riskantes Spiel. Ich setze mich also hinter sie, atme ihr sanft in den Nacken, streichle ihre Schultern und sage nichts. Ich versuche ihr nur das zu geben, worauf sie nun schon seit so langer Zeit verzichtet hat. Geborgenheit…

Sie liebt ihren Verlobten noch sehr, doch für ein paar Stunden lässt sie mich an seine Stelle treten und ihre Leere füllen. Für mich ist es leider nur die immer selbe Routine und wieder verliere ich ein Stück meiner selbst. Das blaue Verderben, das blaue Licht zieht mich an. Nach ein paar Stunden bezahlt sie mich, gibt mir einen Abschiedskuss und bittet mich mit ihren feuchten Augen und zitternder Stimme zu gehen. Ich glaube schon, dass auch sie die Blätter tanzen sieht...
und fallen......





Kapitel 2, Die Vorgeschichte
Mein Name ist Pierre, geboren als Paul. Ich bin ü30 und ein Begleiter für gewisse Stunden. Mancher würde auch Prostituierter, Call-Boy oder Stricher zu mir sagen. Ich selbst bezeichne mich jedoch stets als "NUTTE", Nutte seit mehr als 10 Jahren. Mein Leben war weitestgehend zufriedenstellend. Ich wuchs normal auf und meine Mutter gab alles für mich und meinen Bruder. Unseren Vater lernten wir nie kennen. In der Schule war ich nicht sehr gut. Wahrscheinlich war es Desinteresse. Tatsächlich hatte ich in meiner Jugend einige Schwierigkeiten einen akzeptablen Abschluss zu machen. Mittlere Reife wurde es gerade so und mein Lebenslauf gleicht einem Drehbuch aus "Mitten im Leben": In der neunten Klasse bin ich sitzengeblieben, nach drei Monaten aus der Friseurlehre geflogen und danach habe ich ein Jahr im Zentrum für Vollidioten nachgesehen, welche Berufe die besten für mich sein sollten. 

Ich entschied mich jedoch, all dem Geraune zum Trotz, mein Abitur nachzuholen. Es war keine einfache Zeit. Denn im Vergleich zu meinen Mitschülern musste ich die notwendige schulische Vorbildung nahezu von null nachholen. Aber zum Glück habe ich Anschluss gefunden und so half mir ein Mitschüler namens Michael. Er war ein wirkliches Genie. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich mein Abitur trotz meiner mangelhaften Grundlagen schaffte. Er war mein Held der Bildung! Ich habe ihm wirklich viel zu verdanken. Erfahren hat er das nie. 

Mit dem Abitur in der Tasche eröffnete sich für mich eine neue, eine geistige Zukunft. Ein Traum wurde wahr. Ich durfte studieren und so wurde ich Geologe in spe. Die Universität war für mich fortan die letzte Bastion der Freigeister, die Institution meiner Hoffnung, Ausweg aus der einfachen Welt und Statement zugleich. Ich liebte es zu studieren. Natürlich besuchte ich nicht jedes Seminar und auch Vorlesungsinhalte erschloss ich mir lieber daheim. Aber ein Teil des intellektuellen Spiels gewesen zu sein, reichte mir. Leider war das Studium des Steineklopfens und -leckens, ob der Wissenschaft dahinter, für mich nicht frei oder aufregend genug. Ich wechselte. Zum Glück zahlte ja Vater Staat stets meine Unkosten. Nein…! Ich studierte weiter, nun Geisteswissenschaften, doch die Regelstudienzeit wurde zu einem Joch, das mich erdrückte und die finanzielle Unabhängigkeit mein Befreiungsschlag. Geld… Geld stand plötzlich über allem. Ohne Geld konnte ich nicht studieren. Und nicht studieren zu können, zu scheitern, nochmal zu scheitern, war keine Option. Fortan hieß es, zu arbeiten, zuzuhören, zu schreiben und zu lernen. Ich versuchte mich an vielen Studentenjobs. Doch die wenigsten Arbeitgeber kamen mit mir oder ich mit der Arbeit zurecht.

Mein erster Job war der als Caller! – Telefonhure außerhalb des Sexgewerbes – Ich stellte jedoch schnell fest, dass ich mit einem solchen Dauerhass auf der Leitung nicht zurechtkomme. Manchmal bin ich ein echtes Sensibelchen! Stellt euch das Callen ungefähr so vor: Ihr sitzt gemeinsam mit anderen Huren aufgereiht an großen Tischkomplexen, habt euer Headset auf und nervt – rein zufällig – völlig unbekannte Leute. Alle paar Sekunden oder auch Minuten müsst ihr euch plötzlich auf die individuellsten Charaktere einstellen und euren Text runterbeten. „Guten Tag, mein Name ist: Ihnen-scheiß-egal‘ und ich rufe Sie im Auftrag von: ‚Interessiert-Sie-nicht‘ an. Wir bitten Sie freundlich darum, uns vielleicht und natürlich vollkommen anonym eine Umfrage zu allgemeinen Themen zu beantworten.“ Die Reaktionen der herzlich Belästigten reichten dann bei mir von einem seltenen „ja“; über ein „sanft monoton piependes Geräusch, nachdem der Angerufene auflegte"; hin zu „Nennen Sie mir bitte nochmal ihren Namen. Ich möchte Sie und Ihre Einrichtung verklagen“ und mündeten sehr selten in Hassreden wie: „Ich werde dich finden und umbringen und wenn ich mit dir fertig bin, piss ich auf deine Leiche.“ Menschen können zu freundlich sein.

Diese Form des Callens, auch „Outbound“ genannt, ist jedoch nicht die einzige Option und so kann jeder, der diese Herzchen nur ungern belästigt und lieber angerufen wird, auch im sogenannten „Inbound“ arbeiten. Dort wird man dann von all den Leuten angerufen, die sowieso schon ein Problem mit dem Angebot deines Auftraggebers haben. Läuft also das Internet nicht, kommt die Lieferung nicht an oder ist ein Gerät defekt, bist du und zwar ganz allein nur DU daran schuld. Nettigkeiten sind in diesen Momenten häufig ausverkauft und das Abfeuern der Verbalprojektile beginnt erneut. Es ist nicht so, als wäre jeder Call ein Alptraum. Es gibt wirklich tolle Menschen auf der Leitung, aber leider machen zehn nette Anrufer nicht einen wirklich gemeinen wett. Doch auch bei den Callern ist nicht jeder gleich und manchen ist es einfach egal, was ihnen an den Kopf geworfen wird. Für sie ist das nur ein Job und so arbeiten sie auch. Meine Seele war jedoch nicht dermaßen abgeschirmt, sodass ich aufgeben musste, bevor es mich vollkommen zerstörte. Ich schmiss also das Handtuch. – Sensibelchen zum Zweiten –

Aber es musste weitergehen und so folgten Anstellungen als Tellertaxi im Restaurant, als Putze für Büroräume und als Boulettenjongleur bei den üblichen Verdächtigen. Meist war ich jedoch zu langsam oder nicht ausreichend stressresistent. Ich stand mir stets selbst im Weg. Irgendwann fand ich jedoch den perfekten Job. Ich wurde Rezeptionist in der Nachtschicht eines Hotels. Dort hieß es, zu sitzen, mal den Eingangsbereich zu saugen, mal einem Gast in der Nacht eine Flasche Wein zu bringen und voller Ruhe darauf zu warten, dass der Morgen hereinbrach. Es war zwar nicht mein Traumjob und ich hätte ihn weiß Gott nicht mein Leben lang machen können. Doch ich hielt ihn. Tja, bis Barbara – Marketing Director – eincheckte. Sie war auf Geschäftsreise hier und wollte nicht, wie sie es sagte: „Mit ihren Mitarbeitern in den ‚Spießbuden‘ auf Happy-Dinner machen“ und so kam sie schließlich zu mir. Ich erinnere mich noch genau an ihre begrüßenden Worte: „Du hast aber nicht gerade im Job-Lotto gewonnen, oder?“ Und trotz ihrer schätzungsweise fünfzig Lenze und ihren streng frisierten, kurzen und schwarzen Haaren war sie mir sofort sympathisch. Aber mit ihren Worten hatte sie prompt meinen wunden Punkt getroffen und so heulte und kotzte ich mich in feinster Emomanier die ganze Nacht bei ihr aus.

Es tat einfach gut, sich alles von der Seele reden zu können und sie schien es nicht zu stören. Wir sprachen bis zu meinem Schichtende um 6 Uhr und wollten wohl beide nicht, dass diese Nacht schon so früh endet. Zumindest sah ich ihren Blick, der von Lust und Begierde getragen wurde. Aus heutiger Sicht glaube ich, dass ich wohl schon damals einen Instinkt für das verborgene Verlangen von Frauen hatte oder, um ehrlich zu sein, sie einfach auf einen jungen und unverbrauchten Jüngling pochte, jugendliche Energie. Ich fragte sie also einfach mit meinem naiven Charme, ob wir nicht zu ihr aufs Zimmer wollen. Mehr als ein „Nein“ oder Gelächter erwartete ich nicht. Barbara sagte jedoch nichts. Sie ging einfach langsam in Richtung Fahrstuhl und versicherte sich zurückblickend, ob ich ihr auch folgte. Tja, jung wie ich war, ging ich natürlich breit grinsend, fast sabbernd hinterher. Ich kam mir vor, als hätte ich den „Heiligen Gral der Pumajagd“ errungen. Wir landeten also in Zimmer 49, Etage 3, rechts. Aus heutiger Sicht war dies die letzte wirklich schöne Nacht für mich. Bis zur Schmerzgrenze durchfickten wir die Morgenstunden und schliefen zusammen ein.

Geweckt wurde ich jedoch von Lisa, der Allzweckamazone im Roomservice. Ihre mit genervter Stimme ausgesprochenen Worte klingen noch heut in meinen Ohren: „Paul, zieh dir was an und vergiss den Umschlag da nicht.“ So harsch wie sie mich weckte, so zischend verließ sie den Raum. Ich konnte der ganzen Situation nicht wirklich folgen, suchte meine Klamotten zusammen und zog mich an. Erst dann sah ich den Umschlag. Kein Wort, nur 1000 Euro... DAS war der Abschied von Barbara. Was soll man dazu sagen: Ich hatte einen echt geilen Fick und bekam einen derbe harten Schlag in die Fresse. Ich fühlte mich schlecht und ausgenutzt. Ich verstand diese Gefühle nicht einmal. Ich meine, ich hatte einen geilen Fick und bekam dafür auch noch Kohle? Eigentlich hätte ich mich freuen sollen, 1000 Euro von oben. Doch mein Herz und meine Seele wurden missbraucht. Ich war doch keine Nutte, keine verdammte Nutte! Diese Worte verfolgten mich lange!

Ich wollte das Hotel nur schnell verlassen und nach Hause. Fast hätte ich es auch geschafft, doch dann erwischte mich der Alte – mein Chef – kurz vor dem Angestelltenausgang. Er sagte nicht viel, aber es war deutlich: Ich brauchte nicht wiederzukommen! Diskutieren, flehen oder gar zu betteln half mir nicht, auch kein Geflenne. Es galt wohl als ungeschriebenes Gesetz, dass studentische Angestellte in ihrer Freizeit mit den Besuchern nicht auf Tuchfühlung gehen durften. So fuhr ich nach Hause. Die Zukunft war ungewiss. Manche Fehler bereut man sein Leben lang. Meine Welt hatte sich verändert. Es klingt vielleicht lächerlich – auch heute noch – und trotzdem wurde nichts mehr, wie es war. – Schicksal –



Kapitel 3, Der Anfang
Mit dem Geld von Barbara waren zumindest zwei Monate gerettet, meine Seele jedoch angeschlagen. – C´est la vie –

Nun bestand meine Aufgabe wieder darin – neben Lernen und Schreiben – einen neuen Job zu finden. Doch wo sollte ich hin, wenn ich doch scheinbar schon überall war. Ich konnte keine Arbeit auftreiben.

Die 1000€ waren schlussendlich aufgebraucht, die Miete schon zwei Wochen überfällig und etwas zu essen, wäre toll gewesen. Die Probleme häuften sich. Da kam mir der Geburtstag von Isabell, einer lockeren Kommilitonin, gerade recht. Wir waren zu dritt. Sie gab erst eine Runde Burger bei BK aus und zog dann auf ihre Rechnung mit uns um die Häuser. Kneipe für Kneipe frönten wir dem Luxus des alkoholischen Überflusses und nach einer Privatparty auf Grasbasis in einer Studi-WG wollten wir noch ein wenig im Park entspannen. Leider ist Isabell beim Rumzappeln gestürzt und so endete ihre Nacht abrupt. Sie schlug sich am Betonboden das Kinn auf. Es blutete schrecklich. Ich kann Blut nicht sehen. Doch Ralph, ihr Freund, schaltete sofort auf den sortierten Rettungsmodus, rief ein Taxi und brachte sie zur Notaufnahme. Doch anstatt nach Hause zu gehen – ich wohnte nicht unweit – blieb ich im Park und betrachtete die Welt bei Nacht und sah Martha. Sie kam aus einer Gasse, weinte und schrie laut und setzte sich auf eine Bordsteinkante zwischen zwei Autos. Sie war keine 30 Jahre alt und leicht pummlig. Ihr blondes, lockiges Haar lag auf ihren Schultern und sie übte auf mich eine unbekannte Vertrautheit aus. Sie war meine Seelenverwandte. Ich wusste es nur noch nicht!

Doch wären da nicht ihre Tränen gewesen, hätte ich sie vielleicht nie angesprochen. So ging ich mit aktiviertem Helfersyndrom zu ihr und sprach sie mit ruhigem und freundlichem Ton an: „Brauchst wen zum Reden, was?“ und so ruhig und nett ich auch fragte, so überraschend war ihre Antwort: "Verpiss dich!" Lauter und deutlicher hätte diese nicht ausfallen können. Gerade als ich ihrem Wunsch – leicht angepisst – nachgeben wollte, sah ich Blut in ihrem Gesicht. Sie brauchte wirklich Hilfe. Ich setzte mich neben sie und schwieg, sodass es keine 10 Minuten dauerte, bis sie erneut bitterlich zu weinen anfing und endlich mit mir sprach. Martha war Nutte und wurde damals ca. zwei Stunden vor ihrem Erscheinen in der Gasse missbraucht! 

Je länger sie sprach, desto mehr Spuren sah ich. Ihr stereotyper, pinker und viel zu kurzer Rock war dreckig, ihr rechtes Ohrläppchen eingerissen, ihre Handgelenke blau, ihre Lippe geschwollen und aufgeplatzt und nahezu jede sichtbare Hautstelle war von Kratzern übersät. „Arbeiten auf eigene Kasse ist gefährlich“, sagte sie. „Berufsrisiko!“ 

Sie erzählte mir von zwei Typen, wohl unter zwanzig. Sie haben sie auf ihrem Arbeitshandy angerufen und vereinbarten prompt einen Ort und Preis. Marthas Nummer war in einschlägigen Zeitungen zu finden und so sollten sie sich alle – wie immer – bei ihr treffen. Martha arbeitete von Zuhause und war recht günstig. Für hundert Euro pro Kopf hätten die beiden alles haben können, was sie wollten, sofern es nicht länger als eine Stunde dauerte und mit Gummi geschah. Doch daran dachten die Zwei nicht. So klingelte es an ihrer Tür und anstatt Vorkasse bekam sie einen Schlag ins Gesicht. Sie fiel zu Boden und beide Typen über sie her. Erst steckte ihr der eine etwas in den Mund und hielt sie fest, sodass der andere ihr den Rock hochreißen, sich in die Hand spucken, ihr zwischen die Schenkel greifen und sofort damit beginnen konnte, sie zu missbrauchen. Ohne auf ihre Schreie zu achten, machte er weiter, bis er seinen Druck entlud. Rollentausch und sofort fing der andere an. Doch anstatt im Dreck des Vorgängers zu bohren, wollte er sie nicht nur ficken, nein. Er holte erst irgendwas aus seiner Hosentasche und rammte es ihr ohne Gnade mehrmals in den Arsch. Er wollte sie erst noch weiter erniedrigen, um sich dann an ihr zu befriedigen. Irgendwann waren beide einfach weg und ließen Martha missbraucht, bespuckt und körperlich sowie seelisch verletzt im Flur ihres „Arbeitsplatzes“ liegen. Zur Polizei wollte sie nicht und nicht einmal der Notarzt konnte sie überzeugen, in die Klinik zu gehen. – Hurenlogik –

Reden brachte keinen Erfolg. Ihre Wohnung wollte sie vorerst nicht mehr sehen und so nahm ich sie ohne Weiteres mit zu mir. Doch schon damals kam mir an ihrer Geschichte etwas seltsam vor. Ich wusste nur noch nicht was…

Martha blieb drei Wochen. Wir hatten eine schöne Zeit und taten uns gut. Sex hatten wir jedoch nicht. Erstens waren ihre Wunden noch nicht völlig ausgeheilt und zweitens konnte man bei uns beiden von einem gespaltenen Verhältnis zur Sexualität sprechen. Bis heute ist es mir ein Rätsel, wie Martha den ganzen Mist, der ihr passierte, vergessen und einfach so weiter machen konnte. Ich erzählte ihr von Barbara und ihre Reaktion war als Mischung aus lautem Lachen ihres Mundes und Mitleid ihrer Augen zu verstehen. Auch IHR Branchenauftakt verlief ähnlich.

Damals war Martha ebenso Studentin und wurde auf einer WG-Party plump mit den Worten: „Hey Süße, ich mag Mädels mit großen Argumenten?" angesprochen. Sie, total angewidert, versuchte ihn abzuwimmeln, aber so leicht war er nicht loszuwerden. Ständig kam er erneut angehechelt, machte ihr, wenn auch weiter plump, Komplimente und schenkte ihr all seine Aufmerksamkeit. Bis dahin, sagte Martha, war ihr nicht bewusst, dass sie eine solche Wirkung auf Männer haben konnte. Und ja, der Typ war weiter aufdringlich, aber immer auch nett. Sie gab also irgendwann nach und trank etwas mit ihm, vielleicht auch etwas mehr. Geredet haben sie jedoch nicht viel. Martha wollte sich einfach einen ansaufen und den Typen ficken. Sie wollte ihn so ficken, wie er es sich nie hätte träumen lassen. So landeten beide nach ein paar Drinks auf dem Klo. „Ich fickte ihm das Hirn raus, es tat so gut“, war ihr sichtlich stolzer Kommentar und trotzdem klang ihre Stimme nicht fröhlich. Dann kam es. Kaum spritzte er ins Gummi, zog er auch schon seinen Schwanz aus ihr und sein Porte­mon­naie aus seiner Jackentasche, sodass er zuerst das Gummi und dann fünfzig Euro vor ihre Füße auf den widerlichen Boden direkt vors Klo warf. Sein Abschied lautete: „Warst ne echt geile Hure.“ Etwas starb in ihr und ich verstand sie nur zu gut.

Bis heute frage ich mich, was Leute dazu treibt, nach einem beiderseitig geilen und absolut gewollten Fick Geld zu ziehen und einfach zu gehen. Ist es vielleicht Schamgefühl oder die Angst, sich mit dem anderen auseinander setzen zu müssen? Wer weiß das schon…

Die Zeit mit Martha verging schnell. Wir gingen gemeinsam einkaufen, kochten, sahen fern und redeten viel. Es war toll. Sie erkannte früh, dass ich einen finanziellen Engpass hatte und half mir etwas aus, sodass ich für ein paar Tage abschalten konnte. Aber schon nach kurzer Zeit fragte sie mich – trotz ihrer ganzen schrecklichen Erfahrungen – ob ich es mir nicht auch vorstellen könnte, als Call-Boy mein Geld zu verdienen. „Call-Boys verdienen wirklich gut und solang du nicht meine Fehler machst und dich ohne Vorbereitung an die Tür wagst, ist es auch nicht ganz so schlimm!", so ihre Worte. „Nicht ganz so schlimm!“ Wie das schon klingt.

Sie empfand mich als einfühlsamen Kuschellover, den viele Frauen im mittleren Alter vermissen und sah meine Stärke darin, dass ich stets zu wissen schien, was diese in bestimmten Momenten brauchten. Doch wer kann sich da schon sicher sein? Tja, kaum sprach sie dieses Thema locker an, schrillte es auch schon wieder in meinem Kopf: „Nutte!“ Doch Geld ist mächtig und das Joch wurde schwerer und schwerer, schier unüberwindbar. Also nickte ich Martha voller Unsicherheit und kaum sichtbar zu. Doch sie verstand und erzählte mir von einer Straßensozialarbeiterin namens Claudia.

Claudia war klein, wirklich klein – vielleicht 1,60m. Sie war normal gebaut, hatte ebenso wie Martha blondes Haar und war Ende 30. Ihr Mann, Ex-Mann hat sie elf Jahre lang mit seiner Sekretärin betrogen. Martha und sie schütteten sich wohl ab und an gegenseitig ihre Herzen aus, weshalb Martha auch erfuhr, dass Claudia keine Lust mehr darauf hatte, sich erneut zu binden. Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, doch Martha rief Claudia – ohne mich zu fragen – an und erzählte ihr von ihrem Vorfall. Heute denke ich, dass dies nur ein Vorwand war.

Claudia kam natürlich prompt zu meiner Wohnung, trat ein und diskutierte stundenlang mit Martha darüber, dass sie doch zur Polizei gehen sollte. Dies lehnte sie jedoch stets lächelnd ab und wiederholte ihre Floskeln: „Nutte auf eigene Tasche. Berufsrisiko!“

Irgendwann wechselten sie das Thema, tranken ein paar Bier und verbannten mich zum Teeaufkochen in die Küche. Ich sah nur noch, wie Martha Claudia ins Ohr flüsterte, ihr etwas gab und daraufhin zu mir in die Küche kam. Mit einem Klaps auf den Po sagte sie nur: „Das ist deine Chance, Tiger! Zuhören kannst du, nett und zuvorkommend bist du und nun musst du nur noch ein echter Kerl sein“. Kaum hatte sie ausgesprochen, ging sie und ließ mich mit Claudia allein. Ich war verwirrt!

Trotzdem brachte ich ihr den Tee und bevor ich alles richtig realisieren konnte, bat sie mich darum, mich zu ihr zu setzen und schüttete mir ihr Herz aus. Sie schwärmte unheimlich von ihrem Ex und spuckte gleichzeitig verbal Feuer. Sie und ihr Herz waren zerrissen. Er betrog sie jahrelang. Doch bevor ich ihr etwas Aufbauendes sagen konnte, öffnete sie ohne Ankündigung meine Jeans und fing an, mir einen zu blasen. Ihre Lippen, ihre Zunge fühlten sich fantastisch an und trotzdem hätte sie das nicht gemusst. Es machte die Sache jedoch einfacher. Kaum war ich bereit, gab sie mir ein Gummi, zog ihren Slip unter ihrem Rock hervor, drehte sich weg von mir und beugte sich vor. Ich nahm sie direkt und versuchte ihr eine schöne Zeit zu bereiten. Mir war die Situation sehr unangenehm und so hatte ich stark damit zu tun, zu kommen.

Regel 5: Vergiss nicht, dass es nur um die Dame geht. Doch spritzt du nicht ab, sucht sie den Fehler bei sich und das darf auf keinen Fall passieren.

Ich spritzte also ab, doch wirklich gut fühlte ich mich nicht. Wir waren einsam zu zweit. Kurz darauf zog sich Claudia an und streichelte mir mit breitem Lächeln zum Abschied das Haar. Sie ging und sagte kein Wort. Sie legte einzig einen Umschlag auf meine Malm-Kommode, machte sich in den darüber befindlichen Spiegel blickend straßentauglich und war weg. Ich war jedoch um 100 Euro reicher. Ob das Marthas Geld war?

Aus heutiger Sicht war dies für mich mein erstes Mal. Aber danken, danken konnte ich Martha dafür nicht. Trotzdem wurde sie zur wichtigsten Person in meinem Leben und ich, ich wurde tatsächlich zur Nutte…



Kapitel 4, Startprobleme
Mein Leben veränderte sich. Mein Herz wurde stumm. Sehnsüchte wichen einer trüben Existenz, wurden Illusionen. Nach und nach ersetzten kühle Nächte meine Tage und ironischerweise war das größte Problem weiterhin das Geld. Noch immer suchte ich vergebens die Freiheit, so leben zu können, wie ich es wollte. 

Mein Startup hatte Startprobleme. Das Vorhaben vom „Ficken“ zu leben, scheiterte an den zu rar gesäten Zufällen. Allein das Hoffen darauf, dass Frauen wie durch Zauberei den Weg zu mir fanden und mir für eine Nummer ihr Geld vor die Füße warfen, konnte meine Miete nicht bezahlen. Ich musste selbst die Initiative ergreifen. Doch leider ist Mundpropaganda in diesem Gewerbe unverhältnismäßig unterrepräsentiert und einschlägige Anzeigen werden in der Regel nur von Männern beachtet, deren Anfragen ich nie beantworten wollte. Mir blieben in den ersten Monaten nur die von Martha in unregelmäßigen Abständen zugespielten Kontakte zu abenteuerlustigen Hausfrauen, die aus ihrem Familientrott auszubrechen versuchten und Claudia, die bis heute meine treueste Stammkundin bleiben sollte.

Sie hatte sich damit abgefunden, allein zu sein und holte sich in der Regel ein bis zwei Mal im Monat ihre „Nacht der großen Gefühle“, wie sie sie so gerne beschrieb. Ich glaube, Claudia ist es, die in meinem Leben einer Partnerin am nächsten kommt. Ja, sie bezahlt, hat aber gute Konditionen. Manchmal reden wir nur ein paar Stunden und haben zum Abschluss einen Quickie. Das Besondere ist jedoch, dass sie bei mir schlafen darf und ich ohne Gummi arbeite. Es ist schwer zu beschreiben, was Claudia für mich ist, vielleicht ein Notnagel?

Leider reichten diese paar "Geschäftstreffen" und Claudia im Monat nicht aus, um davon auch nur im Ansatz leben zu können, weshalb ich neue Pfade beschreiten musste. Was konnte mir, meiner Seele schon noch passieren? Naiv und im Selbstmitleid zerfließend, dachte ich wirklich, dass in mir alles soweit kaputt war, dass sich nichts weiter verschlimmern konnte. Ich war ein dummer Junge!

Leider behielt einmal mehr das Gesetz des alten Murphy recht. An einem Donnerstagabend klingelte nach drei Wochen ohne eine Kundin Matthias an meiner Tür. Er war ein normaler Typ, blass, hatte kaum sichtbare Muskeln, war aber schlank und mittelmäßig gepflegt, wenn auch haarig! Doch er war groß, größer als ich. Das machte die Sache nicht einfacher. Am Telefon erschien er jedoch nett und irgendwie feminin, sodass ich annahm, uns schon irgendwie durch den Abend bringen zu können. Normal war ich es, der die Stricke in den Händen hielt, aber an diesem Tag veränderte sich meine Welt erneut. Mit meinem Mantra „Sex ist Sex" öffnete ich die Tür. Hätte ich doch bloß auf mein Bauchgefühl gehört! Na ja, Matthias trat ein und hatte schon den Geldumschlag in der Hand. Geil lächelnd legte er diesen auf meine Malm, die links von der Tür stand und zögerte nicht lang, mich, obwohl sich alles in mir weigerte, an sich heranzuziehen. Er küsste mein Gesicht so voller Euphorie und Vorwärtsdrang, dass die Erinnerung an das Gefühl unserer aneinander reibenden Dreitagebärte so einprägsam wurde wie ein Brandmal. Als er dann aber meinen Kopf mit männlichster Dominanz nach unten drückte und mir seinen salzigen Schwanz immer und immer wieder in den Mund rammte, wurde mir klar, wer der Mann in dieser Nacht war. Er bestimmte, wo es langging und er legte mich aufs Kreuz. Und meines habe ich bis heute zu tragen! Woran ich bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht dachte, war, dass mein "bestes Stück" den Dienst verweigern konnte und es natürlich auch prompt tat. Tja, ihm war das egal!

Regel 6: Versuch bei Kerlen gar nicht erst einen Ständer zu kriegen. Die meisten kümmern sich nicht darum. Verschwende also keine Zeit daran, denn um gefickt zu werden, brauchst du keine Erektion!

Rasch lag ich rücklings auf meinem Bett. Er beugte sich über mich, umspielte meinen Mund mit seinen Fingern und steckte zwei davon in ihn hinein, um sie dann angefeuchtet in meiner Hinterpforte zu platzieren. Kurz darauf war ich die Nutte, die genommen wurde. Ich lernte schnell, dass Sex eben nicht gleich Sex ist, wenn man die Rollen tauscht! Ich war wirklich ein dummer, dummer Junge! 

Der physische Schmerz war mir egal. Doch mit jedem Stoß wich meine Würde und mit jedem Stöhnen, das er raus röchelte, weinte ich trockene Tränen. Meine Stärke, der Rest meiner selbst war gestorben. Ich wurde missbraucht. Zumindest fühlte ich mich so. Trotzdem war ich selber schuld. Ich opferte meine Seele ein paar Scheinen. Ich war so unglaublich naiv!

Als er das Gummi abzog und auf mich spritzte, dachte ich, es endlich hinter mir gehabt zu haben. Doch weit gefehlt. Dieser Abend sollte insgesamt fünf Stunden dauern. Matthias zahlte für die ganze Nacht und ich als Nutte musste mich fügen! – Berufsethik – 

Irgendwann, nachdem ich ihm noch zweimal seinen haarigen Schwanz hochblasen musste und er mich gefickt hatte, ging er, wie er kam: Er küsste mich, schaute geil an mir hinunter und verabschiedete sich. Bis heute kann ich nicht erklären, was in mir passierte, als er endlich weg war. Ich weiß nur, dass mich diese Nacht veränderte. Ich saß nackt in einer Ecke und weinte – untypisch für mich – stundenlang. Wie konnte ich nur glauben, dass es keinen Unterschied machte, wer der Kunde ist. Ich war so ein dummer, dummer, naiver Junge! 

Matthias war weg, doch die Melancholie zog ein. Tränen trugen mich in den Schlaf und begrüßten mich am Morgen. Ich aß und sie begleiteten mich. Ich sah fern, nahm jedoch nur verschwommenes Bild wahr. Mein Herz tat weh, so unglaublich weh. Doch sonst fühlte ich nichts… Ich weinte nur... Ob tot oder lebendig, egal. Ich war nur noch da!
Martha, mit der ich sonst täglich telefonierte oder wenigstens schrieb, versuchte mich über eine Woche verteilt zu erreichen. Ständig klopfte sie an meine Wohnungstür und rief meinen Namen. Mein Accounts platzten vor Nachrichten, die ich nicht abrief und meine Telefone vibrierten munter vor sich hin. Ich ignorierte alles, sodass die Leere solang in mir blieb, bis an einem Freitag plötzlich Claudia mitten in meiner Wohnung vor mir stand und mir in Verzweiflung schreiend eine verpasste. Der Schlag traf mich jedoch nicht so hart wie Martha, die zu allem Überfluss schluchzend in meiner Tür stand und von Steve getröstet wurde. Steve war ein Freund von Claudia und legaler Einbrecher, der anscheinend seinen abschätzigen Blick an mir perfektionieren konnte. Er war ein echtes Liebchen!

Es vergingen nur ein paar Minuten, bis sich Martha verhalten lächelnd zu uns gesellte Sie hielt einen geöffneten Geldumschlag in der Hand, meinen. Den hatte ich ganz vergessen! Ich wollte eigentlich nicht, dass die Mädels jemals erfuhren, wieso ich dermaßen versackte. Doch meinen Zustand konnte ich nicht verbergen. Und während Claudia noch die Furie gab, legte Martha beruhigend eine Hand auf ihre Schulter und setzte sich zu mir. Auf dem Umschlag stand „Kuss Matthias“ und Martha wusste Bescheid. Es ist nicht allzu lange her, dass wir beide am Telefon ausgiebig das Thema der Gewinnmaximierung besprochen hatten und schon damals riet sie mir von dieser Grenzüberschreitung ab. In ihren Augen war ich zu labil, diesen Schritt ohne Folgen zu überstehen. Ich glaubte ihr nicht. Aber wie sagt man so schön: „Lernen durch Schmerzen“, auch wenn es die seelischen sind. Ich habe zumindest eines gelernt: „Wenn dich das Leben fickt, lehn dich eben nicht zurück und genieß es, sondern stoß es fort und wehre dich, solange du noch kannst!“

Auf die Beine brachte mich aber doch Claudia, die ihre Sozialarbeiterfähigkeiten uneingeschränkt an mir unter Beweis stellen konnte. So gingen wir alle gemeinsam in den Zoo. Doch Martha passte das gar nicht, da sie – ob man es glauben mag oder nicht – eine Art militante Tierschutz-Nutte darstellte und Nuttenstempel à la Leo oder Pelz bei ihr nicht zu finden waren. Für Martha glich ein Zoo einem Tier-KZ. Sie meckerte schon am Eingang los, dass über diesem noch die Worte „Süß-Sein macht frei“ fehlen und so zeterte sie weiter. Doch auch Martha musste bei den Kapuzinern lachen und fand die Pinguine grandios. Die Doppelmoral lebe hoch!

Ich vergaß für ein paar Stunden, was geschehen war und sah, dass es auch in trüben Zeiten Situationen gibt, die einem die Freude am Leben zeigen. Trotzdem wurde in den nächsten Tagen das Joch um meinen Hals enger und immer schwerer. Das Geldproblem blieb und wuchs, auch wenn es kurzweilig durch ein sattes Trinkgeld von Claudia leichter zu stemmen war. Sie gab mir vier Mal so viel, wie es mein Standardtarif für eine Nacht ohne gute Konditionen veranschlagte! Wahrscheinlich hätte sie es mir auch ohne einen unangenehmen Quickie gegeben. Doch sie kannte meinen Stolz, wo auch immer der noch herkam. 

Für die Zukunft sah ich jedoch schwarz. Männer waren keine Option und so… so stand ich wieder am Anfang – gebrochener als jemals zuvor.


Kapitel 5, Das Ende der Moral
Genug geweint! Zu lang im Selbstmitleid gebadet! Ich musste endlich aufwachen. Es war doch egal, was mir passierte. Wen kümmerte das schon? Es kam einzig darauf an, mein Schicksal zu akzeptieren. Ich fügte mich also dem Spiel, welches keine Gewinner kennt und gab der sozialen Distanz ihr Recht. Fortan verloren Menschen und ihre Schicksale an Bedeutung und Emotionen wurden zu einer Last, die ich nicht mehr tragen wollte. Ich mutierte jedoch keineswegs zu einem Misanthropen, nein. Doch kalt wurde ich allemal. Ich stumpfte ab. Dies war die Zeit, in der ich Paul vergaß, um Pierre zu sein. Die Klappe fiel!

Dabei entsprang der Name Pierre einem Erotikroman, den meine Mutter in ihrem Nachtschrank gut versteckt glaubte. Dar Roman war schwarz gebunden und auf seinem Deckel stand – geprägt in goldenen Lettern – „The Pierre“. Ich war vielleicht 10, als ich es das erste Mal sah und heimlich damit begann, in seine Welt einzutauchen. „The Pierre“ war jedoch keine Figur sondern Ort der Handlung. Es war und ist bis heute ein Spitzenhotel in New York City mit Blick auf den grünen Central Park.

Für mich war schon damals weniger die Geschichte als die durch sie aufgebaute Stimmung und die Idee des „The Pierres“ von Bedeutung. Die beschriebenen Bilder wie die der wunderschönen Zimmermädchen in ihren schwarzen Putzuniformen mit durchschimmernden weißen Blusen und leichtem Dekolleté luden mich zum Träumen ein. Im „The Pierre“ traf der goldene Kitsch des Jugendstils mit seinen zahlreichen, floralen Verschnörkelungen auf die Funktionalität und Gradlinigkeit der Moderne. Das in diesem Roman dargestellte Hotel kreierte eine Scheinwelt, eine kostenpflichte Fiktion für all diejenigen, die dem urbanen Trott ihrer grauen Metropole zu entfliehen versuchten. Das sollte auch mein Pierre erreichen. Er wurde die Antwort auf die traurige Realität, die meine Kundinnen umgab, eine Kunstfigur!

Natürlich veränderte ich mich nicht von einem Tag auf den anderen. Ich fühlte und dachte teilweise wie zuvor. Doch kannte ich nun den Feind und ignorierte ihn. Dabei begann ich, wie mit unsichtbaren Scheuklappen bestückt, durch die Stadt zu flanieren und alle Menschen, ihre Gesichter und Emotionen auszublenden. Und es endete in einer fast vollständigen Abschirmung meiner selbst.

Auch Martha spürte, welche Veränderung in mir vorging. Sie bemerkte mein aufgesetztes Lächeln und mein geheucheltes Interesse, wenn es überhaupt zum Heucheln kam. Sie kannte mich so nicht und erschrak von Treffen zu Treffen mehr über meinen Wandel.

Einen Monat nach Matthias kam es dann zu einer Situation, die ich noch heute sehr bereue. Martha hatte einen Kunden, der die härtere Gangart bevorzugte. Er stand darauf, so grob vorzugehen, dass sie vor Erniedrigung und Schmerzen schreien und weinen musste. Für Martha war dies nichts Neues, doch an diesem Tag nahm es sie sehr mit, sodass sie eine Stunde nach Geschäftsschluss in meiner Tür stand und Trost suchte. Doch ich, ich konnte ihr nicht mehr geben als ein: „Hör auf zu flennen. Das ist doch unser Berufsrisiko!“. Das musste gerade ich sagen. Ich, der Dienst-Emo, den noch vor Kurzem alles mehr verletzte, als gut für ihn war. Martha, meine beste Freundin, wurde so von mir ins Nichts gestoßen und sich selbst überlassen. Sie stand nur bleich und zugleich angewidert vor mir und flüsterte: „Was ist nur los mit dir? Was ist nur passiert…? Der Matthias?“ Und ich, ich wandte mich ab und setzte mich auf meine Couch. Martha ging und sah nicht zurück. Mich kümmerte es nicht, noch nicht!

Sie war vorerst Geschichte und mit ihr auch ihre Hausfrauenkontakte. Selbst Claudia hielt sich seitdem, ohne ein Wort zu sagen, fern von mir. Egal. – falsches Ego! –

Wen interessierte das schon? Ich war nicht mehr auf ihre Kontakte oder ihr Geld angewiesen. Ich hatte einen neuen Plan! Meine letzte Kundin brachte mich darauf. Ich traf sie zwei Tage vor der Martha-Situation. Sie war aus damaliger Sicht nichts Besonderes. Ich erinnere mich nicht einmal an ihren Namen. Ich weiß nur, dass er mit „P“ begann. Ich nenne sie nun einfach Petra Normal. Frau Normal buchte also vier Stunden Ehemodus. Dementsprechend holte ich sie mit einem weißen Hemd, einem schwarzen Anzug und Lackschuhen bekleidet von daheim ab, dinierte mit ihr in einem Restaurant ihrer Wahl und sorgte im Anschluss daheim in ihrem Bett für einen entspannten Ausklang unseres Arrangements. Es war die ewige Routine! Doch was sie mir erzählte, brachte die imaginäre Glühlampe über meinem Kopf zum Leuchten.

Auch Frau Normal war eine Dame, die ihren Gatten früh verloren hatte. Jedoch nahm sie dies deutlich mehr mit als es bei vergleichbaren Kundinnen der Fall war, sodass sie sich Woche um Woche in ihre Trauer-Gesprächsrunde flüchtete. „Eigentlich ist die Trauer bei unseren Treffen nur ein Vorwand. Eigentlich geht es darum, dass wir einsame Seelen Gesellschaft suchen“, sagte sie. Dort wollte ich ins Spiel kommen. Dies war jedoch nicht so einfach, wie ich es mir vorstellte. Die Gruppe war voll und neue Mitglieder waren entweder nur dann zugelassen, wenn ein Platz frei wurde oder ein Mitglied eine ausdrückliche Empfehlung vortrug. Kann es denn so schwer sein, einen weiteren Stuhl zu organisieren?

Na ja, ich fragte Petra also, ob sie mich nicht dort einführen würde und bot ihr im Gegenzug einen Tag voller Freuden an. Doch sie weigerte sich nachdrücklich mit dem Aufschrei: „Du bist GESCHMACKLOS!“ und schickte mich von Dannen. Mit dieser Reaktion rechnete ich nun wirklich nicht. War es die eingebüßte Empathie, die mich so auflaufen ließ?

Ich ließ ihr 30 Minuten Ruhe und stand daraufhin erneut, nun jedoch mit einem gelben Rosenstrauß bewaffnet, vor ihrer Tür und bat sie rufend um Verzeihung. Sie ließ mich mit abschätzigem Blick tatsächlich nochmal hinein und ich musste vorerst kriechen. Glück gehabt..!

Dank der Rosen hörte sie mir nun zu und zusammen mit ein paar beruhigenden Floskeln darüber, dass ich nur in die Trauerrunde möchte, um zu erfahren, wie andere Menschen mit derart schlimmen Problemen zurechtkommen, ließ sie mich wieder näher an sich heran. Der Rest war einfach. Ein sanftes Streicheln ihres Nackens und ein paar Liebkosungen später, stöhnte sie nur: „Dienstag, 20Uhr. Denk dir eine gute Geschichte aus.“ Mein erster Auftritt sollte kommen! 

Der Tag rückte näher und ich dachte nicht ein einziges Mal darüber nach, welche geschmacklose Grenze ich überschreiten würde. Ich sah nur die Unabhängigkeit, das Geld. Petra führte mich also ein. Die Runde war kleiner als ich dachte. Es waren vielleicht 15 Personen, darunter 4 Männer. Es war enttäuschend! Wir saßen alle in einem Kreis und jeder der reden wollte, durfte reden. Das Klischee lässt grüßen!

So stand Petra auf und stellte mich mit ernster Miene als Pierre Schmidt vor, der seine Frau an den Krebs verloren hatte. Mein Auftritt stand an. Keine Probe. Die Klappe fiel und ich, ich musste überzeugen. Ich sprach von meiner Frau, von Nicole. Ich sprach von ihrem glatten braunen Haar, ihrem zuckersüßen Lächeln, das zusammen mit ihren wenigen Sommersprossen alle Menschen um sie herum erheiterte. Schmunzelnd erzählte ich von ihrem seltsamen Faible für Footballtrikots und stockend von unserem gemeinsamen Wunsch, eine Familie zu gründen. Ich sprach davon, dass unser Leben perfekt war, bis bei ihr eines Tages nach einem Schwächeanfall Leukämie diagnostiziert wurde und der lange Abschied begann. „Ich liebte sie so sehr und pflegte sie Jahr für Jahr. Wir überstanden jede einzelne Chemotherapie und sie… SIE starb dennoch. Wir beide verloren den Kampf, doch nur Nicki musste dafür bezahlen und ich… ich blieb einsam zurück…“ Ich weinte bitterste Tränen, die jedes Krokodil neidisch gemacht hätten. Und da kam auch schon mein erster Erfolg. Sie hieß Gabrielle und nahm mich herzlich in den Arm. Auch sie hatte Tränen in den Augen und wie sich in der Zukunft herausstellen sollte, auch ein prall gefülltes Portemonnaie in ihrer Handtasche, meine Gage!

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